04 Apr Lokale Geschichte als Lernort
„Lokale Geschichte als Lernort: Erinnerungsort und Erinnerungskultur“
Seit über 20 Jahren ist Werkstattfilm e.V. auf dem Gebiet der Film- und Medienarbeit in Oldenburg tätig. Der Verein hat es sich dabei zur Aufgabe gemacht, gesellschaftlich relevante Themen mit Hilfe von (audio-)visuellen Medien zu bearbeiten, in unterschiedlichen Formen zu präsentieren und damit einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs zu leisten.
Eine zentrale Rolle in der Arbeit Werkstattfilms nimmt die Zeit zwischen 1933 und 1945 ein, deren Aufarbeitung – auch abseits audiovisueller Medien – sich der Verein seit seinem Bestehen schwerpunktmäßig widmet. Zahlreiche Filmproduktionen, Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen zeugen von der regen Aktivität auf diesem Gebiet.
Werkstattfilm bietet drei Stadtrundgänge für Schulklassen sowie Erwachsenengruppen an, die auf eine neue Art und Weise einmalige Einblicke in die oftmals verdrängte und unzulänglich bekannte Oldenburger Stadtgeschichte zwischen 1933 und 1945 geben. Im Rahmen der Rundgänge werden gewöhnliche, auf den ersten Blick unauffällige Gebäude und Plätze des alltäglichen Lebens in der Stadt aufgesucht, hinter deren Fassade sich verstörende Geschichten über den Alltag der im Nationalsozialismus verfolgten und ausgebeuteten Personengruppen verbergen. Im Fokus steht die Auseinandersetzung mit den individuellen Geschichten derer, die Opfer der NS-Politik wurden. Die Rundgänge vermitteln einen emotionalen Zugang zur Thematik und leisten gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur. Zentral ist dabei die persönliche Erfahrung und Entdeckung der historischen Zusammenhänge durch die Teilnehmer_innen. Dies geschieht durch den Einbezug zahlreicher, bisher unveröffentlichter Fotografien, Dokumente und Exponate aus dem umfangreichen Oldenburger Medienarchiv von Werkstattfilm. Sie verbinden auf eine bisher noch nie da gewesene Art und Weise die Schicksale von Familien und Einzelpersonen an den Originalschauplätzen mit den gesamtgesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der NS-Zeit. Die Teilnehmer_innen nehmen die Materialien selbst auf den Rundgang mit, beispielsweise in historischen Koffern oder Mappen, die an bestimmten Plätzen geöffnet werden, zur Auseinandersetzung anregen und Bezüge zwischen dem jeweiligen Ort und seiner historischen Bedeutung in der Zeit des Nationalsozialismus herstellen. Alltägliche Orte werden auf diese Weise zu Lernorten lokaler Geschichte.
Folgende drei Rundgänge werden angeboten:
- Jüdisches Leben in Oldenburg
Goldschmidt, Tahl, Wallheimer – nur den wenigsten Menschen in Oldenburg sind diese Familiennamen heutzutage noch ein Begriff. Vor rund 80 Jahren zählten sie zu den prägenden Akteuren in der Stadt, genossen Ansehen und Anerkennung in der Bevölkerung. Ob als Damenausstatter, Fotograf oder Pferdehändler: Sie waren fest sowohl im gesellschaftlichen und kulturellen Leben als auch in der Wirtschaft der Stadt verankert. Dies änderte sich mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten: als Juden wurden sie aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, öffentlich diskriminiert und wirtschaftlich ruiniert. Schließlich wurden sie verfolgt, vertrieben, ermordet. Der Rundgang greift die Schicksale einiger jüdischen Familien aus Oldenburg auf und macht ihre einstige Existenz in der Stadt wieder sichtbar.
- Die Situation der Sinti und Roma im Nationalsozialismus
Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Sinti und Roma ist heute noch von Stereotypen geprägt, deren Ursprünge historisch weit zurückreichen. Vergessen oder verdrängt wird dabei oft, dass Sinti und Roma, unter ihnen auch viele Oldenburger Familien, während des Nationalsozialismus der rassenhygienischen Politik, der Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt waren. Die bereits vor 1933 gängige Diskriminierung und Verfolgung fand hier ihren Höhepunkt. Aufgearbeitet wurden die Verbrechen lange Zeit nicht. Dies greift der Rundgang zum Leben der Sinti und Roma auf. Im Fokus stehen Schicksale und Lebenswege von Oldenburger Sinti und Roma Familien, die in den Kontext der historischen Entwicklungen von 1933 bis 1945 gesetzt werden. Durch den Einbezug der Aufarbeitung wird ausgehend von der Zeit des Nationalsozialismus auf die Gegenwart und aktuelle gesellschaftliche Umgangsweisen verwiesen.
- Geschichte der Zwangsarbeit
Die Geschichte der Zwangsarbeit in der NS-Zeit ist im öffentlichen Bewusstsein kaum präsent. Millionen Menschen wurden während des Zweiten Weltkriegs aus den besetzten Ländern nach Deutschland verschleppt, um hier in der Industrie, der Landwirtschaft oder in privaten Haushalten unter oft brutal unmenschlichen Bedingungen zu arbeiten. Oldenburg war hierbei keine Ausnahme. Es gab am Rennplatz in Ohmstede ein Durchgangslager für tausende von Zwangsarbeiter_innen und im gesamten Stadtgebiet über 40 Lager, sodass der Anblick dieser Menschen während des Krieges zum alltäglichen Stadtbild gehörte. Nach 1945 wurde diese Tatsache rasch verdrängt. Es gibt nur wenige Erinnerungsorte, die an ihr Schicksal erinnern – verstreute Gräber auf Friedhöfen, ein aus privaten Mitteln errichtetes Kreuz in Ohmstede oder einen kleinen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof. Der Stadtrundgang soll an die Zwangsarbeiter_innen und ihre Geschichte(n) erinnern und verschiedene hierfür relevante Orte, die Opfer der Zwangsarbeit und auch die Täter_innen vorstellen, um ein Bewusstsein zu schaffen.
Organisatorische Hinweise
Die drei Stadtrundgänge finden nach Absprache statt und dauern ca. 60-90 Minuten. Sie werden von einer fachkundigen Mitarbeiter_in von Werkstattfilm begleitet und betreut. Es besteht die Möglichkeit nach dem Rundgang im hauseigenen Kino von Werkstattfilm einen thematisch passenden Film anzuschauen, die Ausstellung zum Nationalsozialismus zu besuchen oder das Café als Raum für Austausch und Diskussionen zu nutzen. Die Kosten für die Teilnahme betragen 2,50 Euro pro Person für Schulklassen und 10 Euro pro Person bei privaten Gruppen.
Für Buchungen und Rückfragen stehen wir Ihnen gerne telefonisch oder per Mail zur Verfügung (Tel.: 0441_12180, Mail: info@werkstattfilm.de).
Unser besonderer Dank gilt der Oldenburgischen Landschaft für die freundliche Förderung des Projekts „Lokale Geschichte als Lernort: Erinnerungsort und Erinnerungskultur“.